Du bist Mentalist! – Timon Krause

Wirft man ein Auge auf die Geschichte der Ratgeber, die Entwicklung der Lifestyle-Bücher und den Werdegang der Selbsthilfe-Literatur, so wird man zwangsläufig eine Wellenbewegung feststellen: von Ratschlägen, die auf das Innenleben des Lesers gerichtet sind, hin zu Techniken zum Verstehen der Anderen und wieder zurück zur vermeintlichen Verbesserung seiner selbst.

Befindet sich die Literatur in der intern ausgerichteten Phase, so liegt oft der Fokus darauf, sich selbst verstehen zu lernen, sowie die Mechanismen der eigenen geistigen Maschine zu meistern. Tipps, Techniken und Ratschläge drehen sich hier um das Verändern vom Mindset und das Durchbrechen von Beliefs. Wer sich selbst meistert, dem liege die Welt zu Füssen, heißt es dann – getreu dem Motto: transformiere dich selbst und du transformierst die Welt.

Die Welt, jedoch, transformiert sich natürlich weder mehr noch weniger als zuvor. Eine Zeit lang geht das ganze Spiel dennoch gut. Jeder ist er (oder sie) selbst und frönt dem Individualismus, bis eines Tages ein Umschlag geschieht: aus diesem oder jenem Grund verlegt sich die Aufmerksamkeit von innen nach außen.

Es ist nicht länger an der Tagesordnung, nur sich selbst zu verstehen. Stattdessen entsteht wieder ein Bewusstsein dafür, dass ja auch Andere in der Welt umher irren. Sollte die verdiente Erfüllung durch interne Ruhe nicht gefunden worden sein, so entsteht nun der Verdacht, dass jene unerfüllten Ziele womöglich durch Kontrolle oder ein grundlegendes Verständnis der externen Phänomene zu erreichen seien.

Statt den eigenen Geist zu erforschen, forschen wir nun in den Köpfen der Anderen; statt uns selbst zu durchschauen streben wir nun danach, den Anderen zu lesen, zu manipulieren, zu kontrollieren.

Dieses Spiel treiben wir auf die Spitze (und produzieren in dessen Verlauf Ratgeber zur Körpersprache, Manipulation und Menschenleserei) bis die sprichwörtliche Uhr wieder Zwölf schlägt und ihr Pendel wieder umschwingt: Zeit, die Aufmerksamkeit zurück nach innen zu lenken.

Bitte verzeihen Sie mir die womöglich leicht melodramatische und etwas antiquierte Einleitung in diesen kurzen Artikel. Ich hätte vermutlich auch einfach so etwas wie „Manchmal geht es bei Ratgebern um das Innenleben des Lesers und manchmal geht es bei Ratgebern um das Verbessern der Beziehungen des Lesers“ schreiben können, aber where’s the fun in that?

Ganz vorneweg: die obig beschriebene sich wiederholende Wellenbewegung vom Fokus auf das Interne hin zum Externen und zurück ist völlig normal. Ich möchte weder sagen, dass eine der Phasen besser noch schlechter als die andere ist. Mir war es schlichtweg wichtig, Ihnen diese zwei oft grundsätzlich verschiedenen Ansätze zur Selbsthilfe, pardon, Persönlichkeitsentwicklung, frisch ins Gedächtnis zu rufen.

Als das redaktionelle Team dieses Magazins mir anbot, diesen Artikel zu schreiben, eröffnete sich mir die Einladung mit der Frage danach, was meine Arbeit mit Transformation zu tun habe.

Nach langem Denken realisierte ich, dass mich jene Frage in einer etwas kniffligen Situation platzierte.

Meine Arbeit übe ich nämlich an zwei ganz unterschiedlichen Plätzen aus: auf der Bühne und im Hörsaal.

Einen der wertvollsten Tipp zum Thema Business bekam ich von einem amerikanischen Kollegen: Jeder, dem Sie begegnen, muss wissen was Sie tun, dass Sie es für Geld tun und soll Ihre Visitenkarte bekommen. Diesen Ratschlag habe ich über die letzten Jahre so gut es ging beherzigt. Wären Sie und ich uns also heute begegnet, so wüssten Sie jetzt mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass ich Mentalist bin, dass ich damit für Geld auftrete, sowie darüber lehre und hielten meine Karte mit der Aufschrift “Real Magic by Timon Krause” in der Hand. Vielleicht haben Sie schon mal von Mentalisten gehört. Die meisten Menschen denken dabei an Figuren aus dem Fernsehen (die Serie The Mentalist erfreut sich weltweit grosser Beliebtheit) oder an Figuren aus dem Theater, die das Publikum mit Gedankenlese-Demonstrationen unterhalten.

Wenn ich meinem Job auf der Bühne ausübe, dann komme ich letzterem Bild relativ nahe. Ich performe weltweit eine Show rund um dem menschlichen Geist, in welcher ich PIN Nummern errate, vermeintlich Entscheidungen vorhersage und Menschen aus dem Publikum so beeinflusse, dass sie ihre Hand risikolos mehrere Minuten knapp über eine brennende Kerze halten können.

Jede dieser Demonstrationen trägt in sich ein kleines Geheimnis, welches gut geschützt wird, um die Vorstellung zugleich unterhaltsam und magisch für das Publikum zu machen.

Es gibt allerdings noch einen anderen Aspekt in meinem Leben als Mentalist, den ich mindestens genau so sehr genieße, wie auf der Bühne zu stehen: die Momente in denen ich mein praktisches Wissen rund um uns Menschen in Seminaren oder Vorträgen weitergebe.

In diesen Momenten gebe ich den Zuhörern das größte Mentalisten-Geheimnis weiter: nicht nur ich bin Mentalist – wir alle sind Mentalisten. Mentalisten gibt es nämlich nicht nur auf der Bühne oder im Fernsehen. Wir begegnen Mentalisten ständig und überall im Alltag. Mentalisten sind schlicht Menschen, die es erlernt haben, den eigenen Geist sowie den Geist Anderer zu verstehen und ihre Handlungen diesem Verständnis nach zu modellieren. Das Ganze ist also nicht so abgehoben, wie es vielleicht im ersten Moment klingt: Mentalisten geht es in erster Linie um effektive Kommunikation mit sich selbst und dem Gegenüber.

Meine eigene Reise zum Mentalisten begann vor 12 Jahren (und mit 12 Jahren)  als ich, inspiriert von einer Hypnose-Show, begann mir selbst das Hypnotisieren beizubringen. Wer denkt, dass ein blasser 12 jähriger Junge, der sich in Hypnose übt, ein bisschen gruselig ist, der hat wahrscheinlich recht.

Ob und wie gruselig meine Avancen in den menschlichen Geist damals tatsächlich auf meine Mitmenschen gewirkt haben, vermag ich heute nicht mehr zu sagen. Was ich weiß ist, dass damals ein Feuer in mir ausbrach, welches seitdem mit jedem Tag heller brennt: eine Leidenschaft zur Hypnose, zu Menschen und irgendwann zum Gedankenlesen. Letzteres entwickelte sich während einer einjährigen Reise in Neuseeland im Alter von 16.

In Auckland fand ich meinen ersten Mentor, unter dessen Fittichen ich in die Kunst, Menschen zu lesen, eingeweiht wurde. Vieles von dem, was ich noch heute in meinen Vorstellungen zeige, basiert auf dem Wissen, welches mir am anderen Ende der Welt vermittelt wurde. Doch was auf der Bühne fast übernatürlich wirken kann, hat oft eine Erklärung in vollkommen geerdeten Prinzipien. Hierbei handelt es sich um Mechanismen des menschlichen Geistes, die wir alle teilen: so etwa die Konditionierbarkeit unserer Verhaltensweisen oder die unfreiwilligen universellen Signale unserer Mimik.

Ein Mentalist, der auf der Bühne auftritt, beherrscht oft nur die Hälfte dessen, was ein Mentalist im Alltag kann. Der Unterhalter mag Menschen lesen, ihr Verhalten analysieren und scheinbar den Geist beeinflussen. Sieht man sich die Vorstellung genau an, so wird man in den allermeisten Fällen bemerken, dass all diese Demonstrationen nach außen gerichtet sind: es handelt sich um externe Anwendungen von Wissen und Technik. Für einen Unterhalter auf der Bühne ist das auch völlig in Ordnung. Es wäre wenig spektakulär einen Mentalisten zu sehen, der seine eigenen Gedanken liest.

Steigt der Mentalist von der Bühne und in den privaten Raum, so wird oft das noch eben spektakulär dargebotene Wissen in die hinterste Ecke des Kopfes verbannt. Dabei ist es genau dort – im Alltag, zwischen Menschen, ohne das grelle Licht des Theater – wo dieses Wissen den größten Nutzen hat. Zum einen zur effektiven Kommunikation mit dem Gegenüber.

Wäre es nicht hilfreich zu wissen, wie man seine eigene Sprache anpassen kann, um auf eine Wellenlänge mit dem Gesprächspartner zu kommen? Wie hilfreich wäre es wohl, nicht nur die Worte, sondern auch Körpersprache der Anderen zu verstehen?
Zum anderen tut jeder Mentalist jedoch gut daran, das erworbene Wissen auf sich selbst anzuwenden. Wer die universellen Prinzipien versteht, die den Anderen treiben, der versteht auch die universellen Prinzipien, die einen selbst treiben.

Genau aus diesem Grund fasziniert mich meine Reise als Mentalist. Hier sehen wir den Punkt, an dem der externe und interne Fokus verschmelzen. Was man über die Anderen lernt, lernt man über sich selbst und umgekehrt. Der Mentalist erkennt, dass jede seiner Techniken extern zum Ziele guter Kommunikation, wie intern zum Ziele der persönlichen Entwicklung angewandt werden kann. Es geht hierbei weder darum, sich selbst endlos zu verbessern, noch geht es darum, den Anderen zu manipulieren. Vielmehr geht es um Verständnis. Sich selbst und Andere verstehen lernen, um so effektiver mit sich selbst und seinen Mitmenschen umzugehen. Mentalismus ist eine fortwährende Synthese von extern und intern angewandtem Wissen.

Meine Reise zum Mentalisten ist seit einigen Jahren nicht länger nur meine, sondern vielmehr unsere Reise zum Mentalisten geworden.

Außerhalb der Bühne verbringe ich stets mehr Zeit damit Firmen und Privatpersonen in Lesungen und Workshops beizubringen, wie sie das Skillset eines Mentalisten im Alltag nutzen können.

Gerade in einer stets mehr vertechnifizierten Welt wird es stets wertvoller, den Umgang von Angesicht zu Angesicht mit sich selbst und seinen Mitmenschen erfolgreich navigieren zu können. Wer versteht, was wir miteinander gemeinsam haben – universelle Körpersprache, die Mechanismen unseres Geistes, angeborene Reaktionen – ist seinen Kollegen heute einen Schritt voraus.

Trotz des vermehrten Einzugs von Bildschirmen in unseren Alltag finden die wichtigsten Gespräche und Entscheidungen oft noch live statt. Ein großer Fokus in meinen Workshops liegt darauf, den Teilnehmern in unserer, der Individualität frönenden Zeit zu zeigen, was wir alle universell gemein haben und wie wir uns diese Gemeinsamkeiten in der Kommunikation zunutze machen können.

Vielleicht ist es das, was meine Arbeit mit Transformation zu tun hat: ein Wandel des Blickwinkels auf das, die übergreifenden Gemeinsamkeiten von uns und unseren Mitmenschen, sowie eine Transformation der Aufmerksamkeit, weg von dem was wir immer gesehen habe und hin zu den zuvor verborgenen Informationen, die unser Gegenüber ständig unbewusst preisgibt.

Vielleicht steckt darin die Erkenntnis, dass die interne und externe Phase der Selbsthilfelandschaft eigentlich Hand in Hand gehen – die eine Seite lernt von der anderen und entwickelt so zeitgleich ein tiefes Verständnis beider Welten.

 


Timon Krause aus Amsterdam machte seinen Abschluss an der Theaterschule Paul van Vlies Academie und studiert Philosophie in Leiden. 2014 & 2015 wurde er als “Dutch Champion of Mentalism” gekrönt, 2016 & 2017 gewann er als jüngster Teilnehmer aller Zeiten den Titel “Best European Mentalist”. Er gewann den Preis der US-Show “Penn & Teller: Fool Us!” und hielt 2017 seinen ersten TedX Talk “How to Manipulate Emotions”. Momentan tourt er mit seiner Theatershow MINDGAMES in den Niederlanden. Im September 2018 erschien in Deutschland sein Buch “Du bist Mentalist!”.

http://www.timonkrause.com/

 

Link zum Buch:

 

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