INTERVIEW MIT HEINER MONHEIM

Heiner Monheim ist Geograph, Stadtplaner, Verkehrsexperte, Professor für angewandte Geographie, Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Praxis, Utopist und Kämpfer für lebenswerte Städte.

Herr Mohnheim, Sie setzen sich schon lange für lebenswerte Städte ein: Was können wir heute tun, um morgen in solchen zu leben?

Vor allem mehr Phantasie entwickeln! Dabei müssen wir unsere extrem autofixierten Gesetze im Bau- und Planungsrecht sowie Steuerrecht ändern. Zudem muss ein neues Finanzierungsinstrument für klimagerechtes Bauen und Planen entwickelt werden.

Wie könnte so ein Finanzierungsinstrument gestaltet werden?

Mit einer fahrleistungs- und emissionsabhängige Kfz-Maut für alle Straßen! Die Erlöse daraus würden vorrangig den Kommunen zur Verfügung gestellt werden, um neue klimaorientierte Finanzierungssystem zu etablieren.

Warum geschieht das nicht – was hindert uns an der Umsetzung?

Die Macht der Gewohnheit und die Trägheit der Systeme, als auch der unveränderte Glaube der Eliten an die Zukunft des massenhaften Autoverkehrs hindert uns. Es ist der Irrglaube, dass man die Schieflage mit etwas E-Car und autonomen Applikationen in den Griff bekommen könne.

Die Einführung von Elektroautos ist für Sie nicht die Lösung?

Korrekt – erst der Abschied vom Auto an sich macht moderne Mobilität möglich! Das ist natürlich eine gigantische Transformationsaufgabe, vor der sich die Verkehrspolitik noch drückt.

Warum drückt sich die Verkehrspolitik vor dieser Aufgabe?

Weil man so herrlich viel Geld mit dem Export von Stau und SUVs verdienen kann. Nebenbei billigt man der Autoindustrie zu, immer ineffizientere Autos herzustellen. Die paar Alibi – Aktivitäten im Car -Sharing und autonomen Fahren trösten da wenig. Weniger Autos und bessere Mobilität müssen oberstes politisches Ziel werden. Um raus aus dem Stau zu kommen, hilft nur der Abschied von der Massenmotorisierung.

Wie können einzelne Bürger ihren Beitrag leisten zur lebenswerten Stadt – wie kann das die Wirtschaft und der Handel?

Das kann durch konsequentes Umsteigen gelingen. Dafür müssen wir vor allem unsere Vorurteile abbauen. Alle haben die Sehnsucht nach urbanen Strukturen und intakten öffentlichen Räumen – diese gilt es zu befriedigen. Das verlangt ein großes Engagement für urbanes Wohnen.

Wie genau meinen Sie das ein „großes Engagement für urbanes Wohnen“?

Ich begreife das  als eine Renaissance des qualitätsvollen öffentlichen Wohnungsbaus mit gemischtem privaten Investment. Hierzu sollten wir konsequent Bauland mobilisieren. 

Woher soll das Bauland in den Ballungszentren kommen?

Wir verfügen über viel Flächen in Form von Großparkplätzen, viel zu breiten Straßen und Kreuzungen. Da diese Flächen ohnehin schon kommunales Land sind, könnte dort besonders günstig gebaut werden. Durch überflüssige Autoerschließung spart man darüber hinaus erhöhte Baukosten. Wohnen in der Stadt würde dadurch endlich wieder erschwinglich. Dafür ist es ebenfalls notwendig, dass die Menschen entfernungsintensives Einkaufs- und Freizeitverhalten ablegen und stattdessen den Wert der Nähe wiederentdecken.

Stichwort e-Government: Wie finden Sie die Idee, Bürger in die städtische Planung mit einzubeziehen – wie es beispielsweise im skandinavischen Raum geschieht?

Ich meine, wenngleich moderne, digitale Partizipationsformen eine wichtige Option sind, helfen sie rein „ins Blaue“ nur bedingt. 

Für eine gelungene Umsetzung der Beteiligung bedarf es qualifiziertes Input. Mögliche Zukunftsbilder, Utopien und Wünsche müsseen mit seriösen Bausteinen „gefüttert“ werden. Das ist in etwas vergleichbar mit der Planungszelle und dem  Bürgergutachten. Dabei kommen dann gut verwertbare Ergebnisse raus.

Welche Technologien für den Verkehr von Morgen würden Sie besonders fördern?

Zunächst hätten natürlich Fuß- und Radverkehr Priorität! In den Quartieren sollte die Nahmobilität mit einer friedlichen Koexistenz zwischen Fuß- und Radverkehr dominieren, bei gleichzeitigem minimalen und langsamem Autoverkehr. Statt einzelner Personenwagen plädiere ich für autonome Mini- und Midibusse, die „on demand“ halten. Die Tram sollte überall ihre Renaissance erleben. Niederflurnetze sollten wachsen und zwar überwiegend mit Rasengleistrassen und Tramalleen. Solche neuen Straßenbahnen sollten auch als Stadt-Umlandbahnen weit in die umliegenden Regionen unterwegs sein. Ergänzend dazu halte ich viele neue urbane Seilbahnen für sinnvoll, die vor allem die Lücken im konventionellen Schienennetz schließen. Diese bieten sich wegen ihrer kurzen Bauzeiten und minimal invasiven Bauweise besonders an. Hinzu müsste es zahlreiche traditonelle ÖPNV-Haltestellen als auch Mobilstationen mit Car- und  wahlweise Ride -Sharing geben.

Welche Konzepte gibt es, um das Umland in die Infrastruktur der Städte einzubeziehen?

Für die dünn besiedelten Gebiete sollte es dichte Netze von Landbussen geben, die mit dem städtischen Schienenverkehr verknüpft sind.  Der ÖPNV sollte den regionalen Güterverkehr regeln, mit KombiBUS und KombiBAHN.  Die alten Güterrampen sollten wieder aktiviert werden sowie viele stillgelegte Bahnstrecken. Der Radverkehr sollte parallele Trassen entlang der Bahngleise bekommen.

Wie sieht die „perfekte Stadt der Zukunft“ für Sie aus – Ihre städtische Utopie?

Meine utopische Stadt ist kompakt: Und zwar innen und außen! Da, wo die Städte heute noch schlimm zersiedelt sind, wird die „Flachbauwüste“ aufgestockt. Breite Straßen und Kreuzungen sind verschmälert und teilweise überbaut, für neue Wohnungen. Es gibt keine gravierende  Nutzungstrennung – sondern eine Vermischung von Wohnflächen und Handel. Hiefür wurde die dezentrale Versorgung gestärkt durch Höchstgrenzen für Geschäftsflächen und eine Besteuerung ebenerdiger, großflächiger Handelsflächen und Parkplätze. Im meiner Utopie gibt es eine ausgewogene Regionalentwicklung zu Gunsten der vielen Klein- und Mittelstädte. Und natürlich: Der Autoverkehr spielt nur noch eine kleine Rolle und bewegt sich auf gemischten Verkehrsflächen mit max. 20 km/h. Straßen sind zu multifunktionalen öffentliche Räumen geworden.

DANKESCHÖN FÜR DAS INTERVIEW!


SUSANNE GOLD

Gründerin & Herausgeberin des Zukunfts- und Wissenschaftsblogs „Utopiensammlerin

Futuristin, Utopistin, Erfinderin und Sozialwissenschaftlerin. Sucht Utopien und sammelt Geschichten. Versteht Digitalisierung als Aufbruch in eine neue Welt – und träumt von einer besseren.


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