Warum ich nicht mehr länger „Cindy aus Marzahn“ sein kann

Ilka Bessin (Komikerin), ist ausgebildete Köchin, arbeitete als Kellnerin, Hotelfachfrau und Animateurin und war vier Jahre lang arbeitslos. Anfang der 2000er-Jahre entwickelte sie die Bühnenfigur „Cindy aus Marzahn“ und wurde damit zu einer der erfolgreichsten Komikerinnen Deutschlands. 2016 gab sie die Kunstfigur auf und startete neu durch – als sie selbst: Sie hat ein eigenes Modelabel, war als Ilka Bessin bei RTL in zwei Primetime-Formaten zu sehen und geht ab 2019 erstmals mit ihrem neuen Programm auf Tour.

16 Jahre lang war ich die mit dem pinken Jogginganzug und der Blume im Haar.

Ich hatte eine tolle Zeit, konnte aber selten sagen, was mich wirklich bewegt.

Inzwischen bin ich wieder Ilka und habe endlich Muße für alle anderen Träume.

Vor vier Jahren spürte ich das erste Mal, dass Cindy aus Marzahn sterben muss. Markus Lanz hatte mich in seine Talkshow eingeladen, in der neben mir unter anderem die CDU-Politikerin Julia Klöckner saß, mit der Lanz zunächst kein anderes Thema zu haben schien als ihr Aussehen. Die Komplimente flogen nur so umher, eine Schmeichelei jagte die nächste, und mir schwoll zusehends der Kamm, weil mich dieser Small Talk einfach nervte. Da saß eine Politikerin, die in Deutschland wirklich was verändern kann, und minutenlang ging es um nichts anderes als um ihr Aussehen – mein wunder Punkt. Ich war überfordert, hin und her gerissen, weil ich doch eigentlich die lustige Langzeitarbeitslose Cindy spielen sollte und nicht die Spielverderberin, doch irgendwann konnte ich das Schauspiel nicht mehr ertragen. Ich fiel den beiden ins Wort, und dann ging’s los: Die nächsten Minuten sprach Ilka Bessin.

Sitzen wir hier, um einander Komplimente zu machen?,

blaffte ich, um wenige Sekunden später direkt ein paar politische Forderungen nachzuschieben. „Ich möchte, dass alle Kinder in den Schulen eine Mahlzeit kriegen, dass die Zähne gemacht sind und dass sie immer was zu trinken haben!“, sagte ich und schaute dabei in sehr verdutzte Gesichter. Im Studio herrschte plötzlich absolute Stille, und die Komplimente waren endlich Nebensache. „Es wird so viel versprochen und nichts gehalten“, warf ich hinterher und konnte gar nicht mehr aufhören zu reden. „Das ist meine Sendezeit. Und jetzt drehe ich durch.“

Es ging noch ein paar Minuten so weiter. Lanz wurde immer nervöser, Frau Klöckner guckte hilfesuchend umher, doch ich war mir so sicher wie nie in dem, was ich da gerade tat. Äußerlich sah ich natürlich immer noch aus wie Cindy, aber aus mir sprach mein wahres Ich, das endlich ernst genommen wurde. Ich hatte es satt, dass die Leute in mir nur die Witzfigur sahen, die auf der Bühne maximal über Hartz IV sprechen konnte. Ich hatte es satt, dass ich auf mein Leben im Plattenbau reduziert wurde und mir keine anderen Themen zugetraut wurden. Und ich hatte es satt, nicht ich sein zu können. Nach diesem Abend war mir klar: Cindy wird es bald nicht mehr geben.


Endlich wieder Ilka

Es war ein Neustart mit 45 Jahren. Natürlich ging das alles nicht von heute auf morgen, allein schon weil ich ein großes Team hinter mir habe, das ich nicht enttäuschen wollte, genauso wenig wie all die Menschen, die bereits Karten für meine Shows gekauft hatten. Die letzten Auftritte habe ich natürlich trotzdem genutzt, um Dinge anzusprechen, die unbequem sind, um über Fremdenhass zu reden und Kinderarmut und Mindestlohn, aber ich habe schnell gemerkt, dass mein Publikum eigentlich was anderes will. „Ick kann ooch anders!!!“ hieß das letzte Programm, das alles mit einem Paukenschlag, aber doch irgendwie ohne großen medialen Aufruhr beendete. Cindy verließ ein letztes Mal die Bühne – und das war’s.

Nach 16 Jahren bin ich also wieder ich. Ohne Jogginganzug, mit weniger Schminke und endlich genug Zeit, um das zu tun, für was ich wirklich brenne. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe die Zeit als Cindy geliebt. Schließlich habe ich dadurch Dinge erlebt, die ich als Ilka sicherlich nie hätte erleben können, und heute um einige Erfahrungen ärmer wäre. Aber manchmal ist es einfach Zeit, zu erkennen, dass das bisherige Leben so nicht mehr funktioniert, weil man sich innerlich verändert hat oder weil es noch genügend andere Dinge im Leben gibt, die man unbedingt mal ausprobieren möchte.


Der wichtigste Mensch im Leben ist man selbst

Anfang des Jahres habe ich deshalb meine eigene Modelinie gegründet, die endlich schöne Mode für Menschen macht, die ein paar Kilo mehr mit sich durchs Leben tragen. Bald gehe ich dann wieder auf Tour, mit einem Soloprogramm, das so ganz anders ist, als es die Leute von mir kennen. Danach würde ich gern ein Drehbuch schreiben, für meinen eigenen Kinofilm, oder ein Kinderbuch, das ist auch so eine Spinnerei, die ich im Kopf habe. Ob ich das wirklich machen werde, keine Ahnung, aber manchmal hat man ja einfach Quatsch im Kopf und irgendwie sind solche Ziele ja auch schön.

Vor allem aber bin ich dankbar, dass ich inzwischen so privilegiert bin, all das auch umsetzen zu können, wenn ich wollte. Eltern mit Kindern, Menschen mit pflegebedürftigen Angehörigen oder anderen Verpflichtungen können natürlich nicht einfach so vom Schreibtisch aufstehen, alles hinschmeißen und ihr Leben von heute auf morgen um 180 Grad drehen. Wichtig ist trotzdem, und das kann ich gar nicht oft genug wiederholen, dass man erkennt, selbst der wichtigste Mensch in seinem Leben zu sein, und dafür sorgen sollte, dass man zufrieden ist, denn dann kann man auch andere Menschen in ihrem Wohlbefinden unterstützen.

Nicht immer braucht es dafür übrigens eine 180-Grad-Wendung. Manchmal sind die tollsten Sehnsüchte zwar reizend; wenn man sie dann aber erfüllt, kann es schon sein, dass man sich denkt: „Ach, irgendwie war vorher doch alles besser, mit meinen Kollegen und meiner tollen Familie.“ Das eigentliche Problem hinter der Unzufriedenheit ist nämlich oft, dass man die Wertschätzung für die kleinen Dinge verloren hat und denkt, das vermeintlich große Glück nur zu finden, indem man sein Leben einmal komplett umkrempelt. Aber das stimmt oft nicht. Wichtiger ist doch, dass man das Beste aus dem macht, was einem im Leben zur Verfügung steht. Und manchmal reichen dafür schon die kleinen Dinge!


Mehr zu Ilka Bessin finden Sie hier:

http://www.ilkabessin.de/


Zum Buch von Ilka Bessin:

Foto: © GABO
Quelle: XING
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