Emma-Luna braucht Schuhe

5 Kostenfallen für Helikopter-Eltern – von Anna Gelbert


Niemand lässt sich so lustvoll verarschen wie Münchner Eltern.

Das Gefühl, eine gute Mutter/ein guter Vater zu sein, ist teuer. Statistisch gesehen geben Eltern für ein Kind bis zu dessen 18.Lebensjahr 130 000 Euro aus. Großstadt-Heli-Eltern wie wir zahlen locker das Doppelte:

Wuchtige Hipster-Lastenfahrräder, Endlos-Ergotherapie, Zwergerl-Skiausrüstung – mit ein paar Extra-Tausis zeigen wir, wie wichtig uns Gesundheit und Sicherheit unserer Kinder sind. Wir beruhigen unser Gewissen, wenn sie uns mal wieder zur Weißglut getrieben haben, und, wenn wir am Handy hängen, anstatt ihnen beim Radschlagen zuzusehen. Mittlerweile hält eine ganze Industrie an findig-windigen Leuten die Hand auf, um uns dieses „Ich-sorge-gut-für-meine-Kinder“-Feeling zu verschaffen.

Hier kommt das Rip-Off-Ranking – In diesen Einrichtungen werden wir unser Geld am effizientesten los:


Luxus-Kitas

Sie bieten Bio-Essen und musikalische Früh-Erziehung, Englisch für Windelträger, einen kuscheligen Betreuungsschlüssel und Spielen nach dem Montessori-Prinzip. Sie haben oft lange Öffnungszeiten, hochqualifiziertes Personal – und kosten ein Vermögen. Nicht selten latzen Eltern in diesen Rotznasen-Resorts 1000 Euro im Monat, müssen dafür aber Vollzeit arbeiten gehen. Irgendwann fliegt das ganze Konstrukt in die Luft, weil sich die Chefinnen mit der Stadt/die Eltern mit der Kita-Leitung/die Eltern untereinander in die Wolle kriegen. Bis dahin hat aber eine Menge Kohle die Besitzer gewechselt. Fast alle Familien landen später in den städtischen Kitas, die sie vorher verachtet haben, zahlen plötzlich zwei Drittel weniger und finden es wichtig, „dass die Klara mit ganz normalen Kindern aufwächst“.


Kinderschuh-Läden

Haltungsschäden, Stinkefüße, Lästersprüche. Das alles droht, wenn Kinder falsches, gar billiges Schuhwerk tragen. In hübschen Innenhöfen stehen die Leute, die mit Leder und Status dealen. Sie verachten ihre verwöhnte, überforderte Klientel, tragen aber Karton um Karton herbei, um schweißgebadete Mütter auszunehmen, die in ständiger Angst vor den Wutausbrüchen ihrer Kinder leben: „Mila, bitte probier jetzt den Schuh, sonst gibt’s hinterher keine Gummibärchen/Lutscher/Ballons“. Für mich waren früher die Schuhe selbst die Belohnung, heute reicht das nicht mehr. Die Fersen-Fürstinnen kramen im Lager nach Zwischengrößen, nehmen Fehlkäufe zurück und schimpfen nicht, wenn mal wieder ein Mini die Deko abräumt. Denn am Ende zahlt sich’s halt doch aus. Das Kartenlesegerät glüht vor Glück: 150 Euro für ein Paar Kinderballerinas, 250 für ein Paar Winterstiefel, die bis Februar passen und dann für 20 auf dem Kinderbasar verkauft werden (Meine Schuhe sind übrigens billiger). Wenn die Familien am Rande des Nervenzusammenbruchs weitergezogen sind, dann sieht man die Schuh-Dealerinnen oft rauchend um die Ecke in der Toreinfahrt stehen – und leise lächeln.


Reitkurse

150 Euro habe ich gerade für einen Striegel-Kurs bezahlt. Viermal fuhr ich meine Tochter zu einem sehr, sehr abgelegenen Gehöft, wo Woche für Woche Hunderte Münchner Familien mit ihren Vans parken, um Greta und Henry Natur-Erlebnisse zu ermöglichen. Nachdem ich für den Gegenwert eines London-Fluges Reithelm, Reiterstiefel und Reit-Handschuhe (!), besorgt hatte (ich weiß, Fahrradhelm und Sneaker hätten’s auch getan, aber erklär das mal einer 7-Jährigen), ging es auch schon nicht los. Nach einer halben Stunde Theorie (die sich anfühlte wie ein Semester Veterinärmedizin), durften die Kinder die Tiere putzen. Nach eineinhalb Stunden wurde ich nervös. „Ich zahle doch nicht, damit wir hier stundenlang Eure Pferde striegeln?“, fragte ich die Frau im Büro. In Sachen Umgangston kann auch ich ganz rustikal. Sie zuckte nur die Schultern. Nicht ihr Bier, der Laden läuft, die Kasse brummt. Dann endlich, drei Runden auf dem Pony. Im Kreis. In der Halle. Geführt. Unsere nächste Horse-Experience? Auf der Wiesn: Für 5 Euro. Ganz ohne Striegeln.


Sprach-Feriencamps

Eine Woche ohne Kinder? Die Kleinen nach dem Lagerkoller der letzten Schultage in einen Bus oder Flieger verfrachten. Gern mit Freunden und Gleichaltrigen, auf dass sie in Arcachon, Cardiff oder am Chiemsee Englisch oder Französisch büffeln – oft in Kombination mit Segeln, Fußball oder Hip Hop. Sie dann braungebrannt und klüger zurückbekommen. Mit schwerem Gepäck und leichtem Gewissen (für die Schule was getan) in den Familienurlaub fahren. Soweit die Theorie. Die Praxis: Kein Geld mehr da. Denn eine Woche Unterricht und Fremdbetreuung haben mal eben 1200 Euro gefutscht. Also: Zu Hause bleiben und merken, dass die Kids nicht eine neue Vokabel können. Aber dafür ein Fortnite-Turnier gewonnen haben und betteln, nie, nie wieder in so ein Camp zu müssen. Hoffen, dass die Teenies eines Tages mit Zocken Geld verdienen. Alles auf diese Karte setzen. Im nächsten Jahr nach Frankreich fahren und mühe – und kostenlos jeden Tag 20 Wörter lernen. Dies hier zum Beispiel: Abzocke heißt auf Französisch „L’arnaque“.


Kinderzahnärzte

Die Könige des Besorgten-Eltern-teure-Sonderbehandlungen-Aufschwatzens. Sie praktizieren oft in megaschicken Altbau-Palästen. Während sich in den Wartezimmern anderer Mediziner virenverseuchte Kuscheltiere und Bilderbücher von 1984 finden, gehts bei diesen Herrschaften gerne nobel zu. Da stehen Klettergerüste, Raketen, Beamer werfen Zeichentrickfilme an die Wand. Wer das zahlt? Na wir! Weil Zähne ein Statussymbol sind, und Kinderkaries immer mehr zum Zeichen für ein prekäres Dasein wird („da putzt wohl niemand nach? Zu nächlässig mit den Vigantoletten gewesen?“), lassen immer mehr Mini-Dentisten nichts unversucht, um wohlmeinende Eltern abzumelken. Sechsjährige putzen mit hochsensiblen Ultraschallzahnbürsten und eingebautem Timer. Karius und Baktus, die Zahn-Nervensägen unserer Kindheit, sind tot. Sie wurden abgelöst von ein paar raffgierigen Fluor-Flüsterern mit stylischem Mundschutz. Die sollen zwar die Lösung bringen, sind aber oft das Problem. Verarscht uns, wir sind Eltern.

Zahnreinigung für Dreijährige? Pflicht! Versiegelung für Milchzähne? Also, wenn Sie ganz sicher gehen wollen…! Mein Lieblingsdialog: „Frau Gelbert“, sagte die Frau im schicken rosafarbenen Praxisdress mit ernstem, besorgtem Gesicht, so, als wolle sie mir ein Krebs Rezidiv eröffnen „Wir sehen bei Ihrem Sohn keine Karies.“ Ich: „Gut.“ Daraufhin sie: „Wir sollten aber mal röntgen!“ Ich: „Nö“. Sie wieder: „Wenn Sie meinen – auf Ihr eigenes Risiko!“

Jahrelang habe ich meine Kinder angehalten, beim Kinderzahnarzt zu lügen: „Nein, wir hatten niemals Apfelschorle in der Nuckelflasche“, „Schnuller? Seit Jahren weg!“, „Zahnseide? Unser morgendliches Lieblingsritual!“ Werden die Kinder größer, werden auch die Briefumschläge mit den Rechnungen dicker. Ab jetzt übernimmt der Thor unter den Eltern-Abkassierern: Der Kinder-Kiefer-Orthopäde. Zahnspangen, Zahn-Entkalkungen, Headgears (klingt schick, ist aber der ultimativ demütigende Metallbogen rund um den Kopf, der Psychologe reibt sich schon die Hände für später) Der Bundesrechnungshof stellt fest: Zwischen 2008 und 2016 haben sich die Ausgaben für Kieferorthopädische Behandlungen verdoppelt – bei zumeist fragwürdigem medizinischen Nutzen. Am Ende der Behandlung dürfen sich Kinder, in deren Zimmer sich Spielzeug für Tausende Euros stapelt, eine Murmel/zuckerfreie Süßigkeit/Zahnbürste aussuchen und verlassen strahlend die Praxis. Mama und Papa strahlen nicht: Zum einen, weil sie selbst ob der Nachlässigkeit ihrer eigenen Eltern Füllungen und Kronen im Mund haben, vor allem aber, weil auf der Rechnung ein hoher dreistelliger Betrag steht. Danke für gar nichts.

Meine Liste könnte noch ewig weitergehen: Logopädie-Marathons („Der Karl verschleift das S irgendwie“), Hip-Hop-Rip-Off-Kurse, abartig teure Privatschulen, Restaurants, die aus Prinzip keine Kinderteller anbieten, überteuerte Auto-Kindersitze, französische Steppke-Boutiquen, ach es nähme gar kein Ende. Den Satz: „das verwächst sich“, gibt’s gar nicht mehr. Ah doch: Bei den Haaren. Apropos, ich muss aufhören und mit meinem Sohn zum Friseur. Kosten für die Teenie-Friese: 45 Euro…


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